Spitalhaftung

Von 2005 bis 2017 war Susanne Schaffner Mitglied des Solothurner Kantonsrates. Die Kantonsrat-Standpunkte stammen aus dieser Zeit.

Aus dem Ratsprotokoll:
Susanne Schaffner, SP. Die SP-Fraktion dankt dem Regierungsrat für die Beantwortung der Interpella­ tion. Trotz der kurzen Zeit, die zur Verfügung gestanden ist, sind wir froh darüber, obwohl es mir bei diesen Antworten sozusagen die Sprache verschlagen hat, wie Sie hören. Namens der SP-Fraktion muss ich, bevor ich zu den Antworten komme, vorgängig kurz ausführen, warum wir über das Vorgehen des Regierungsrats befremdet und besorgt sind, und zwar trotz der Antworten.
Uns fällt auf, dass in letzter Zeit immer wieder Gesetzesvorlagen zumindest bis auf Kommissionsebene des Kantonsrats gelangen, bei denen, vor allem wenn es um Verfahrensrecht geht, vergessen wird, wofür wir Verfahrensgesetze machen. Verfahrensgesetze, sei es im Zivilprozess, im Strafprozess oder im Verwaltungsprozess, sollen gewährleisten, dass dem Rechtsuchenden ein faires Verfahren garantiert wird, ein Verfahren, bei dem Waffengleichheit herrscht zwischen den Verfahrensbeteiligten. In letzter Zeit vergisst der Regierungsrat offensichtlich diese Hauptzielrichtung. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder in Gesetzesvorlagen lesen müssen, Verfahren sollten schnell, effizient und günstig sein. Schnell, effizient, günstig für wen? Offenbar aus Sicht der Verwaltung, der Regierung und den Gerichten, die bei der Vorbereitung der Gesetze dabei sind, für den Staat. Der Rechtsuchende wird dabei offensichtlich vergessen. Was in andern Kantonen lange Debatten bei der Vorbereitung solcher Verfahrensgesetzesänderungen auslöst, nämlich darüber, wie der Rechtsschutz optimal gewährleistet werden kann, wird im Kanton Solothurn schnell, kostengünstig und effizient erledigt, aber erschreckenderweise nicht im Interesse des Rechtsuchenden, sondern auf dessen Kosten.
Vorliegend geht es um das Verfahren betreffend Staatshaftung bei Fehlern der Solothurner Spitäler AG, das gelten soll, wenn ein Patient oder eine Patientin bezüglich der Frage, ob ein Behandlungsfehler vor­ liegt, im Streit mit dem Spital ist. Ein solches Verfahren ist allein schon wegen des Beweisnotstandes des Patienten schwierig für den Betroffenen. In einer Nacht- und Nebelaktion hat der Regierungsrat mit einer Verordnung, die nach unserer Auffassung sich weder auf Bundes- geschweige denn auf kantonales Recht stützen lässt, das Verfahren völlig umgekrempelt. Und zwar so, dass die Schaden verursachende und beklagte AG nicht nur sämtliche Beweismittel in der Hand hat, sondern auch noch darüber richten soll, ob ein Fehler vorliegt oder nicht. Dieses Verfahren nimmt ganz offensichtlich die Rechte der Patientinnen und Patienten nicht ernst, und es wurde auch von der Justizkommission als unfair erachtet. Auch da habe ich stark den Eindruck, die Devise lautete: schnell, effizient, günstig. Übrigens so günstig, dass man sogar die Parteientschädigung spart, denn das neue Beschwerdeverfahren sieht keine Parteientschädigung für den Rechtsuchenden vor, sollte er obsiegen.
Was wollte das Bundesgericht, als es letzte Jahr sagte, es brauche für Spitalhaftungsfälle einen doppel­ ten Instanzenzug? Selbstverständlich einen besseren Rechtsschutz für Patienten. Es soll nicht wie bisher nur eine Instanz angerufen werden können, sondern zwei. Der Regierungsrat missachtet nun mit der Verordnung nicht nur die Rechte der Rechtsuchenden, sondern auch die Rechte des Gesetzgebers. Die Gesetzgebung ist grundsätzlich immer noch Sache des Kantonsrats und des Volks. Der Regierungsrat erlässt eine Verordnung ohne gesetzliche Grundlage, greift einer Gesetzesänderung vor, für die er es als nicht nötig befunden hat, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen, in dem eventuell bzw. höchst­ wahrscheinlich auch bemerkt worden wäre, dass da kein faires Verfahren für den Rechtsuchenden vor­ geschlagen wird. Der Regierungsrat hatte Monate Zeit, und trotzdem bringt er die Verordnung so spät, dass er sich auch noch ein Verordnungsveto sparen kann. Sämtliche demokratischen Spielregeln sind verletzt worden, das Resultat ist denn auch ein Desaster. Das Verwaltungsgericht hat am 10. Januar 16 von 18 Verfahren, obwohl die meisten sistiert sind, ohne rechtliches Gehör für die betroffenen Patienten an die SoH überwiesen. Die Verfügung beruht auf einer Verordnung, die in der Schwebe ist und eigentlich keine Rechtsgrundlage darstellt. Das ist katastrophal, ich wiederhole: schnell, effizient und günstig, aber für den Rechtsuchenden unfair und eines Rechtsstaates unwürdig.
Zur Antwort auf die Frage 1. Im Veto, das gestern eingereicht worden ist, wird ausführlich dargelegt, dass der Regierungsrat sich täuscht, wenn er meint, sich auf Artikel 130 Absatz 2 BGG stützen zu können. Dieser Artikel dient dazu, in Notfällen, wenn es dringend ist, minimale Anpassungen machen zu können, ohne einen referendumspflichtigen Erlass machen zu müssen. Das heisst, man kann eine Instanz vorsehen, die noch nicht vorhanden ist, aber man kann nicht das Verfahren so umkrempeln, wie es in diesem Fall getan worden ist. Die Verordnung hat keine rechtliche Grundlage. Zur Frage 2. Der Regierungsrat sagt, das Inkrafttreten sei bis zum Ablauf der Vetofrist mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Er gibt also zu, dass aufgrund der Verordnung nicht verfügt werden kann, solange die Vetofrist nicht abgelaufen ist. Trotzdem hat das Verwaltungsgericht Rechtshandlungen vor­ genommen. Das ist unhaltbar und muss sofort rückgängig gemacht werden, bis eine rechtliche Grundlage vorliegt, die standhält.
Zur Frage 3. Der Regierungsrat hegt keine Befürchtungen, wenn die SoH verfügen würde. Es ist natürlich nicht so, dass wir bis jetzt ein Verfügungsverfahren gehabt hätten. Bis jetzt musste man beim Verwaltungsgericht klagen, mit der SoH wurde nur verhandelt. Ein Spital kann in einer solchen Situation grundsätzlich nicht unabhängig sein, eine gewisse Unabhängigkeit für ein faires Verfahren ist aber unabdingbar. Es ist nicht so, wie der Regierungsrat unter Frage 3 ausführt, dass der Arzt vom Verfahren ferngehalten werden muss, weil er haften würde. Haftbar ist die SoH, das Spital, das steht im Staatshaftungsgesetz. Es kann nicht sein, dass die gleiche Stelle, die haftet, auch noch darüber entscheidet, ob die Haftung zu Recht oder zu Unrecht sei. Das gibt es nirgends in dieser Art.
Zur Frage 4 habe ich mich bereits geäussert. Zur Frage 5. Warum sistierte Verfahren an die SoH überwiesen wurden, ist nicht nachvollziehbar. Zur Frage 6 stelle ich fest, dass ein rechtlich unhaltbarer Zustand vorliegt. Der Rechtsuchende wird, ohne dass ihm das rechtliche Gehör gewährt worden wäre, zwischen den Verfahren hin- und hergeschoben. Er weiss nicht mehr, an wen er sich wenden soll. Ich erhielt heute eine Nachricht, wonach jemand eine Klage bei der SoH einreichen wollte, worauf die SoH sagte, man müsse sie beim Verwaltungsgericht einreichen.
Zur Frage 7. Angesichts der desolaten Situation stelle ich fest: Es darf und kann nicht sein, dass die Regierung mit ihrem unüberlegten und nicht abgestützten Vorgehen derartige Rechtsunsicherheiten schafft. Der Regierungsrat hatte genügend Zeit, ab 1. November 2011 eine Rechtslage im Spitalhaftungsbereich zu schaffen, die verfahrensrechtlich durchdacht ist und die Vetofristen wahrt. Das Vorgehen der Regierung und die heutige Rechtsunsicherheit sind nicht akzeptabel und für den Rechtsuchen­ den eine Zumutung.
Der Regierungsrat, das zeigen die Antworten auf die Interpellation, zieht zwar jetzt alles zurück, aber offenbar erkennt er heute noch nicht, dass er mit seinem Vorgehen nicht den Rechtsschutz verbessert, sondern den rechtsuchenden Patienten völlig im Stich gelassen hat. Es geht jetzt darum, so schnell wie möglich Rechtssicherheit zu schaffen und ein faires Verfahren einzuführen.

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