Echte Chancen schaffen

Preisverleihung des Solothurner Sozialsterns vom 8. November 2017

«In einer immer hektischeren Arbeitswelt dürfen wir Unternehmer die Menschen mit einem Handicap nicht vergessen. Auch sie haben eine echte Chance verdient.»

Das sagt Hans Marti, Geschäftsführer der Marti AG Schreinerei und Schliesstechnik und Gewinner vom Sozialstern 2016. Und wie recht er hat. Jede und jeder, der oder die im Arbeitsalltag und im Privaten Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen begegnet, sie begleitet und mit ihnen arbeitet, weiss wie wichtig der Erhalt vom Arbeitsplatz oder der Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag für diese Menschen ist. Sie wissen aber auch, wie anspruchsvoll das Engagement von Unternehmen ist -  gerade in der heutigen Zeit, in welcher Kostendruck herrscht und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine grosse Leistungsbereitschaft abverlangt wird.

Ich habe in den letzten 20 Jahren als Anwältin viele Begegnungen mit Menschen gehabt, die in ihrer Kindheit Missbrauch oder traumatische Unfälle erlebt haben, psychische Erkrankungen mit sich getragen haben, ohne dass dies am Anfang die Berufstätigkeit beeinträchtigt hätte. Eine Frau ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Sie hat als Kind schwersten sexuellen Missbrauch erlebt, schaffte aber dennoch einen erfolgreichen Berufseinstig, heiratete, hatte Kinder, machte eine Scheidung durch, sorgte immer für die Kinder, arbeitete ununterbrochen. Erst, als der Druck am Arbeitsplatz zu gross geworden ist und sie den Arbeitsort wechseln musste, hat sie selber die Stelle gekündet.

Und dann brach alles über ihr zusammen. Plötzlich wollte sie auch niemand mehr anstellen – die Negativ-Spirale hat ihren Lauf genommen. Auch wenn die Frau heute teilweise wieder arbeitsfähig ist: Eine Stelle hat sie nie mehr gefunden. Ein normales Leben zu führen ist für sie ohne Arbeit kaum möglich. Mit der Arbeit ging auch ihr Selbstwertgefühl verloren, grosse Ängste belasten ihren Alltag.
 
Wir alle kennen Menschen in solchen Situationen. Wir wissen, dass es einer Firma viel Flexibilität und Empathie abverlangt, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten für Menschen mit psychische Einschränkungen. Schliesslich sind die gesundheitlichen UPs and Downs nicht immer voraussehbaren.

Die diversen Veranstaltungen der 9. Aktionstage haben es eindrücklich aufgezeigt: Prävention, Information und Aufklärung spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dass unsere Gesellschaft vorsorgt. So wird dafür gesorgt, dass es gar nicht erst zu schwerwiegenden Erkrankungen kommt. Aber es wird so auch das Verständnis geschafft für die Tatsache, dass psychische Erkrankungen eine gesellschaftliche Realität sind und eine schwere Bürde für die Betroffenen darstellen. So einfach, wie die IV-Stelle und die Gerichte es heute in ihren Entscheiden ausdrücken, werden psychische Erkrankungen von den Betroffenen nicht überwunden. Der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt stellt oft auch bei einer stabilen gesundheitlichen Situation einen gewaltigen Schritt dar. Und wer diesen Schritt machen will, muss zuerst überhaupt die Chance erhalten, eine Arbeitstelle zu finden. Es gibt eine Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die Befürchtungen von manchem Arbeitgeber sind sehr gross - auch wenn die Arbeitsfähigkeit und beruflichen Qualifikation ausgewiesen ist.

Das wichtige Engagement von den heute nominierten Firmen schätze ich darum umso mehr. Ihr Einsatz für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ist wertvoll und vorbildhaft. Ein grosses Dankeschön geht darum an alle Firmen, die sich in dieser Hinsicht engagieren. Besonderer Dank gebührt den heute für den Sozialstern Nominierten für ihre Geduld, ihr Verständnis und auch die zusätzlichen Aufwände und Umstände, die sie in Kauf nehmen. Aber die Nominierten wissen es: Ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin, die auch in schweren Zeiten vom Arbeitgeber getragen wird, zeigt in guten Zeiten grosse Leistungsbereitschaft und Treue zur Firma.

Die 9. Aktionstage psychische Gesundheit sind wiederum erfolgreich durchgeführt worden. Die Gelegenheit mit Betroffenen, mit Therapeutinnen und Experten auch schwierige Themen vor Ort, live zu diskutieren, ist nicht nur informativ, sondern auch berührend.

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